ie Straßenbahn biegt rumpelnd von der Torstraße in die Rosenthaler Straße. Im St. Oberholz, dem Coworking-Café, ist der Geräuschpegel fast noch höher als draußen. Sonnabend, 11 Uhr. Frühstückszeit. Vornehmlich junge Leute haben es sich auf den Plastikstühlen gemütlich gemacht.
Mit einem knappen „Sorry“ entschuldigt sich die Bedienung, als sie uns, die wir unschlüssig im Eingang stehen, zur Seite schiebt. In Kopfhöhe manövriert sie ein mit dampfenden Espresso-Tassen beladenes Tablett an uns vorbei. Kaffeeduft steigt in unsere Nasen.
„Einmal Beamtenstippe“
Am langen Holztisch vorn rechts ein halbes Dutzend Leute, die sich interessiert umschauen. Auf den Plätzen am Fenster ein weißhaariges Ehepaar – nicht die Klientel, die üblicherweise hier einkehrt. Ob sie zu unserer Gruppe gehören? Richtig. Wolfgang und Ingrid leben seit Jahrzehnten in Lichtenberg. „Man möchte doch wissen, was sich in der Stadt so tut“, begründet Ingrid, warum sie sich mit ihrem Mann für den Spaziergang „So schmeckt Berlin“ von Art:Berlin angemeldet hat.

„Jemand dabei, der kein Fleisch isst?“, will Tour-Guide Isabella Hammer wissen. Ein Mittvierziger meldet sich: „Zum Frühstück noch nicht.“ Dann eben fleischlos für alle, entscheidet Isabella und ordert vegetarische Burger und „einmal Beamtenstippe“, Focaccia mit Hummus, Grillgemüse und Wildkräutern.
Einst eine Aschinger-Filiale
„Früher war das eine Aschinger-Filiale“, erzählt die Kunsthistorikerin aus Heilbronn, die seit 17 Jahren in Berlin lebt. „Vor dem Krieg hatten die fast 100 Gaststätten in Berlin.“ Auch in den 1970ern, als ihre Mutter in West-Berlin studierte, sei das Erbsensuppen-Imperium noch eine echte Größe gewesen. „Brötchen gab’s immer umsonst.“
„Alles Geschichte, irgendwann haben die Konkurs angemeldet“, erklärt Isabella. „Nach der Wende ist Burger King eingezogen“, erinnert sich eine Tour-Teilnehmerin, die Anfang der 1990er-Jahre aus Westfalen nach Berlin kam. „Aber die Lokale aus der Zeit gibt’s alle nicht mehr.“ Ein Grund, warum sie die Tour gebucht hat: „Schauen, wie sich der Kiez verändert hat.“
„Drinks, in denen ganze Pflanzen versenkt werden“
Isabella drängt zum Aufbruch. Als Kunsthistorikerin informiert sie sonst eher über besondere Bauten in Mitte, führt zum Garnisonfriedhof in der Spandauer Vorstadt, zu den prächtig sanierten Rosenhöfen mit den vergoldeten Rosen am schmiedeeisernen Treppengeländer. Doch so anders seien die Kulinarik-Touren gar nicht: „Es geht mir immer darum, Dinge zu präsentieren, die es so nirgendwo anders gibt“, sagt Isabella. Klar sei ja, „dass man viel mehr zeigen als in der kurzen Zeit essen und trinken kann“. Also muss beim „Chén chè“ am Rosenthaler Platz ein Blick in den Innenhof genügen: eine Idylle mit hoch gewachsenem Bambus, bemoostem Brunnen samt Goldfischen, Buddhafiguren neben rot-blühenden Lilien. „Viel mehr als ein vietnamesisches Teehaus“, schwärmt Isabella. „Die haben Drinks, in denen ganze Pflanzen versenkt werden.“ Außerdem leichte Tagesgerichte. Wie Wasserspinat mit Tofu.

„Wenn Ihr richtig satt werden wollt, müsst ihr ins District Mot gehen“, rät Isabella. „Da gibt’s Saigon Street Food aus einer typisch vietnamesischen Garküche, und riesige Portionen pures Fleisch.“ Wir werfen im Vorbeigehen einen Blick auf die Speisekarte: Hühnerfüße, Schweineohren, frittierte Seidenraupen. „Muss man mögen“, meint ein Tour-Teilnehmer. „Aber ganz authentisch“, sagt Isabella. Inklusive bunter Plastik-Blumen-Girlanden. „Von so viel Kitsch wird man ja blind“, lässt sich der junge Steglitzer vernehmen, der die Tour einem Freund zum Geburtstag geschenkt hat. „Damit wir nicht immer nur zusammen in der Kneipe hocken, sondern was unternehmen.“ Mittlerweile knurrt ihm gewaltig der Magen. Er habe „mit mehr Verkostungen statt kulinarischer Theorie gerechnet“.

Da steigt ihm der Gin gleich zu Kopf, den die Gruppe in der Genussmanufaktur „Eat Berlin“ in den Hackeschen Höfen probieren darf. Der „Berliner Brandstifter“ hat 43,3 Prozent Alkohol. Und das auf fast nüchternen Magen. „Wir haben Produkte von 70 bis 80 Kleinmanufakturen im Sortiment“, berichtet Dirk Meumann. Und natürlich die selbst kreierten Saucen wie das Balsamico-Dressing oder die Senfsauce. Tour-Teilnehmerin Cordula tunkt ein Würfelchen Weißbrot in die Berliner Currysauce. „Die ist noch schärfer als der Schnaps“, schnappt sie nach Luft.
„Kalter Hund“ mit Marzipan und weißer Schokolade
Darauf etwas Süßes. In der Sophienstraße bei „Eisenbergs“. Die Spezialität der kleinen Konditorei ist neben Macarons der „Kalte Hund“, Keks geschichtet mit Schokomasse. „Mit Marzipan, Mohn und weißer Schokolade“, preist Tresenkraft Bronco Nguyen die jüngste Kreation an.

Wir entscheiden uns für den Klassiker mit bitterer Schokolade und die sommerliche Variante mit heller Erdbeer-Schokolade. Eine mächtige Kalorienbombe. Nachdem sich der Zuckerpegel wieder eingependelt hat, schlendern wir weiter. Isabella nimmt Kurs aufs Delikatessengeschäft „Von und zu Tisch“ in der Auguststraße, wo Inhaber Sebastian Vetter gerade den „organoleptischen Effekt“ von Balsamico-Perlen erklärt. „Im Mund zerplatzen lassen – wie Kaviar“, erklärt der Geschäftsmann, der einen Job in der Werbebranche aufgab, um sich mit seiner Frau Katerina den Traum vom Delikatessenladen zu erfüllen. „Wir lieben gutes Essen und reisen gern“, erzählt er. „Bei unseren Reisen haben wir immer auch besondere Lebensmittel entdeckt.“ Wie die mit Thermalwasser produzierte spanische Cola, die am Königshof in Madrid getrunken wird. Oder den Salzmörser aus Pakistan, der den darin zerkleinerten Kräutern eine leichte Salznote gibt.
Restaurant-Tipps für jeden Geschmack
Knapp vier Millionen Einwohner und fast ebenso viele Geschmäcker, verschiedene Kulturen und Küchen: Die Vielfalt unserer Stadt spiegelt sich auch im kulinarischen Angebot wieder, 4.500 Restaurants öffnen hier täglich. Wir haben schöne Lokale und leckere Speisen für unsere Leser herausgesucht – von regional bis international und von Hausmannskost bis exotisch. Außerdem: Die schönsten Frühstückslokale und besten Orte für Tee-Zeremonien.

Kein Abendessen für Frank-Walter Steinmeier
Herzstück des Ladens: der Holztisch in der Mitte. „Hier präsentieren wir unsere neuesten Entdeckungen“, sagt Vetter. Bei Tastings oder Abendessen in intimer Runde. Frank-Walter Steinmeier musste Vetter ein solches Privat Dining allerdings mal verwehren. „Das war, als er noch Außenminister war“, erinnert sich Vetter. „Meine Frau war hochschwanger“, und er allein habe sich das Servieren nicht zugetraut. Eine Tour-Teilnehmerin kauft Straußen-Salami.

Dann geht’s zur letzten Station der kulinarischen Entdeckungsreise, ins „Me“. Eher Ausstellungsort für Künstler, aber auch bekannt für seine frischen Salate, Suppen und Schnittchen. Bei saftigem Graubrot mit Serrano-Schinken, Olivenpaste oder Guacamole, dazu einer Ingwer-Minze-Zitronen-Limonade, klingt die Tour aus. Der junge Mann aus Steglitz ist noch immer hungrig. Wolfgang und Ingrid sind zufrieden. Immerhin sind sie nach Jahren mal wieder an Clärchens Ballhaus vorbeigekommen, wo er sie vor Jahrzehnten zum ersten Mal zum Tanz aufforderte.
Verlosung
Die nächsten zweieinhalbstündigen Kulinarik-Führungen durch Mitte unter dem Motto „Appetit? So schmeckt Berlin“ gibt es am 23. September und 28. Oktober, Beginn jeweils um 11 Uhr.
VERLOSUNG BEENDET.
Wir verlosen zwei Plätze für die Schlemmer-Tour am 28. Oktober. Zur Teilnahme an der Verlosung füllen Sie einfach bis zum 30. September das untenstehende Formular aus. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird Anfang Oktober per Mail von uns informiert.
Nähere Infos: http://www.artberlin-online.de/touren/kategorie/kulinarisches/
Weitere spannende Stadttouren finden Sie in unserem Themen-Spezial: Wir zeigen euch die Stadt – Stadttouren von Berlinern für Berliner.