ine Schildkröte zieht einen Schriftsteller hinaus ins nächtliche Berlin. Der Berliner Fotograf Ingo van Aaren folgt dem ungleichen Paar auf ihren Wanderungen, fotografiert sie am Brandenburger Tor, auf dem Alexanderplatz oder der Oberbaumbrücke, immer allein vor den menschenleeren, verwaisten Kulissen der Metropole. Es ist nicht das Berlin, das wir kennen, es ist ein Parcours durch die Geschichte und Gegenwart der Stadt. Neben van Aarens Fotografien stehen Texte von David Wagner, der unter anderem mit dem Bayerischen Buchpreis oder dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.
„Du gehst mit mir spazieren. Du ziehst mich aus dem Bett in die Nacht. Danke dafür.“
„Na, du musst doch mal hinaus.“
„Und wie machst du das, dass ich immer aufstehe und mitkomme?“
„Wer sagt, dass du immer mitkommst? Manchmal schläfst du einfach weiter.“
Es entfaltet sich ein poetisches Zwiegespräch zwischen der beinah allwissenden Schildkröte und dem Schriftsteller in Nachtstücken, die von der Verwandlung Berlins zwischen halb vier und fünf Uhr morgens erzählen, die interessante Anschlüsse an Wagners Betrachtungen der Tagseite der Stadt in seinen Büchern Welche Farbe hat Berlin und Mauer Park bieten.
Im Dialog von Ingo van Aarens Fotografien und David Wagners Texten entwickelt sich eine neue Form des Flanierens durch Berlin. In Anlehnung an Walter Benjamins Passagen-Werk entsteht das Porträt einer sich stetig wandelnden Stadt.

„Wir beziehen uns kulturhistorisch auf die Zeit des aufkommenden Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts, als Städte wie Paris und London auf Effizienz und Geschwindigkeit hin umgebaut wurden”, erklärt Fotograf Ingo van Aarens. „Im Paris der damaligen Zeit ironisierten Mitglieder der Bohème, allen voran Charles Baudelaire, diese Entwicklung, indem sie Schildkröten spazieren führten.“
Nachtwach Berlin – Spaziergang mit Schildkröte
Ingo van Aaren und David Wagner
Distanz-Verlag, 2020
S. 160, 111 Farbabbildungen
32 Euro